trudi
die jüngste schwester meiner mutter hiess gertrude, trudi genannt.
sie war meine lieblingstante.
im alter von 3 jahren erkrankte sie an gehirnhautentzündung und verlor dabei ihr gehör.
eine hingebungsvolle lehrerin lehrte sie mithilfe eines spiegels und viel liebe so zu sprechen, dass trudi nicht als gehörlose behinderte gesehen wurde, sondern als chice französin. ihr akzent war bezaubernd.
sie las perfekt von den lippen ab, nur mit ihren freundinnen und freunden vom gehörlosen-verein unterhielt sie sich in gebärdensprache.
erst mit 30 zog sie in wien in eine eigene wohnung, erst mit anfang 40 fand sie den mann ihrer träume. fritz, ebenfalls gehörlos, liess sich sofort scheiden, zog aus dem grossen haus in trudis kleine wohnung, machte den führerschein, erwarb an der donau einen grund, stellte einen wohnwagen auf, pflanzte hohe hecken und verbrachte mit trudi möglichst unbekleidet den sommer am fluss.
dadurch kam ich in meiner kindheit in den genuss einer kinderlosen, alleinstehenden tante, die mich feinfühlig liebte.
ich konnte sie nicht anlügen, ich brauchte sie nie anlügen. wenn ich es doch tat, lachte sie, sagte "jetzt lügst du, aber das macht nichts !" und zauberte jede woche ein micky-maus-heft hervor, liess mich an ihrer vorliebe für gute stoffe teilhaben, ich durfte sogar mit ihrer sammlung schöner knöpfe spielen. sie war handweberin an einem klappernden hölzernen webstuhl.
für kinder machte sie sich gerne und immer zum clown, in herrlichen selbstgeschneiderten kostümen war sie der höhepunkt jedes kinderfaschings.
ich begleitete sie mit leuchtenden augen, wenn sie perfekt kostümiert mit der strassenbahn zu einer freundin fuhr, unterwegs schabernack trieb, zuckerln verteilte und eltern verblüffte.
fritz liebte sie heiss und innig, genauso wie sie ihn. ihre trauer war tief, als er bald nach seiner pensionierung starb. voller wut, dass er sie alleine liess, musste sie sich neu orientieren. gab das grundstück am fluss auf, verkaufte sein auto, veränderte ihre wohnung.
dann wurde sie im fkk-teil des wiener gänsehäufels eine institution.
erwarb eine dauerkabine, einen grossen lila sonnenschirm, ein neues gemütliches campingbett und verliess ab mai zeitig am morgen ihre wohnung und bezog ihren stammplatz im bad, neben dem kinderspielplatz. lachend hob sie den vorteil hervor, auch bei grösstem kindergeschrei ruhig schlafen zu können. abends gehörte sie zu den letzten gästen, die zur strassenbahn gingen.
sie las viel, ging gerne aus, liebte taxi-fahren, lange wanderungen im schnee, junge menschen, hunde, gutes essen, den heurigen.
alle mochten sie, ihr feines gespür, ihre wärme, ihre positive art, ihren humor.
wenn ich mich bei ihr, der sonnenblume, über meine zitronige mutter beschwerte, zuckte sie die schultern, meinte "es ist halt so. sie hat es sicher schwer". meistens gingen wir dann eis essen, ins blaue salettl der kleinstadt, in der ich aufwuchs. oder ins kino daneben.
leben und leben lassen - das war ihre devise.
mit 75 jahren rief sie eines tages die rettung und liess sich ins spital bringen.
die ärzte meinten, eine herzoperation wäre notwendig.
auf dem weg vom krankenzimmer in den OP verstarb sie, unbemerkt, leise, effektiv.
ihre eigenartigerweise geordnete und geputzte wohnung räumte ich später tränenüberströmt aus.
sie war meine lieblingstante.
im alter von 3 jahren erkrankte sie an gehirnhautentzündung und verlor dabei ihr gehör.
eine hingebungsvolle lehrerin lehrte sie mithilfe eines spiegels und viel liebe so zu sprechen, dass trudi nicht als gehörlose behinderte gesehen wurde, sondern als chice französin. ihr akzent war bezaubernd.
sie las perfekt von den lippen ab, nur mit ihren freundinnen und freunden vom gehörlosen-verein unterhielt sie sich in gebärdensprache.
erst mit 30 zog sie in wien in eine eigene wohnung, erst mit anfang 40 fand sie den mann ihrer träume. fritz, ebenfalls gehörlos, liess sich sofort scheiden, zog aus dem grossen haus in trudis kleine wohnung, machte den führerschein, erwarb an der donau einen grund, stellte einen wohnwagen auf, pflanzte hohe hecken und verbrachte mit trudi möglichst unbekleidet den sommer am fluss.
dadurch kam ich in meiner kindheit in den genuss einer kinderlosen, alleinstehenden tante, die mich feinfühlig liebte.
ich konnte sie nicht anlügen, ich brauchte sie nie anlügen. wenn ich es doch tat, lachte sie, sagte "jetzt lügst du, aber das macht nichts !" und zauberte jede woche ein micky-maus-heft hervor, liess mich an ihrer vorliebe für gute stoffe teilhaben, ich durfte sogar mit ihrer sammlung schöner knöpfe spielen. sie war handweberin an einem klappernden hölzernen webstuhl.
für kinder machte sie sich gerne und immer zum clown, in herrlichen selbstgeschneiderten kostümen war sie der höhepunkt jedes kinderfaschings.
ich begleitete sie mit leuchtenden augen, wenn sie perfekt kostümiert mit der strassenbahn zu einer freundin fuhr, unterwegs schabernack trieb, zuckerln verteilte und eltern verblüffte.
fritz liebte sie heiss und innig, genauso wie sie ihn. ihre trauer war tief, als er bald nach seiner pensionierung starb. voller wut, dass er sie alleine liess, musste sie sich neu orientieren. gab das grundstück am fluss auf, verkaufte sein auto, veränderte ihre wohnung.
dann wurde sie im fkk-teil des wiener gänsehäufels eine institution.
erwarb eine dauerkabine, einen grossen lila sonnenschirm, ein neues gemütliches campingbett und verliess ab mai zeitig am morgen ihre wohnung und bezog ihren stammplatz im bad, neben dem kinderspielplatz. lachend hob sie den vorteil hervor, auch bei grösstem kindergeschrei ruhig schlafen zu können. abends gehörte sie zu den letzten gästen, die zur strassenbahn gingen.
sie las viel, ging gerne aus, liebte taxi-fahren, lange wanderungen im schnee, junge menschen, hunde, gutes essen, den heurigen.
alle mochten sie, ihr feines gespür, ihre wärme, ihre positive art, ihren humor.
wenn ich mich bei ihr, der sonnenblume, über meine zitronige mutter beschwerte, zuckte sie die schultern, meinte "es ist halt so. sie hat es sicher schwer". meistens gingen wir dann eis essen, ins blaue salettl der kleinstadt, in der ich aufwuchs. oder ins kino daneben.
leben und leben lassen - das war ihre devise.
mit 75 jahren rief sie eines tages die rettung und liess sich ins spital bringen.
die ärzte meinten, eine herzoperation wäre notwendig.
auf dem weg vom krankenzimmer in den OP verstarb sie, unbemerkt, leise, effektiv.
ihre eigenartigerweise geordnete und geputzte wohnung räumte ich später tränenüberströmt aus.
datja - 18. Feb, 11:04